01.09. - Alles für die Kunst.... bis zum Erbrechen

Luise

Heute wird es Zeit sich von Lima zu verabschieden... und das fällt uns auch nicht gerade schwer. Die tosende Metropole mit ihrem Smog und Lärm erinnert trotz ihrer südamerikanischen Exotik doch an jede andere Großstadt. Wir packen also alles zusammen und wundern uns, wie wir vor der Anreise alles so gut verstaut hatten. Den zweiundzwanzig Stunden Busfahrt sehen wir positiv gestimmt entgegen. - Wir haben Schlafplätze und Internet. Da kann ja nix schiefgehen... denken wir ganz ungeniert. Außerdem haben wir Tonnen an Essen vorbereitet. Wir lassen es uns gut gehen... denken wir ganz ungeniert.

Zum Busbahnhof brauchen wir zwei Taxis – So viel Gepäck haben wir. Auch der Sicherheitsmann vor dem Check-In Schalter äugt komisch, als da fünf Gepäckbündel auf zwei Beinen ankommen. Die Einheimischen tragen eine Sporttasche bei sich... Und ich erblicke ein Schild... Gepäck im Frachtraum maximal 20 Kilo! Ich zucke kurz zusammen. Habe ich doch unseren gesamten Kücheninhalt pflichtbewusst mit in meinen Rucksack gestopft. Das Kilo Salz, Zucker, den Rest Kartoffeln und Zwiebeln. Ich schwitze kurz, als ich die Kraxe auf die Waage lege. 15kg... 16,7kg... 17,2kg... 18- der Gepäckbeauftrage zieht den Rucksack von der Waage und lächelt kurz. Hab ich ein Schwein! Das nächste was mir an den Schildern auffällt... keine scharfen Gegenstände im Handgepäck... und es gibt nen Metalldetektor und Rucksackkontrolle. Still und heimlich lasse ich mein super-duper tolles, multifunktions-Survival-Taschenmesser von meiner super-duper tollen, multifunktions-Survival-Schenkeltasche zwischen meine Wechselklamotten im Rucksack verschwinden. Indes hat Magda zwei Massagesessel entdeckt. Mit hopsendem Schritt springt sie darauf zu, lässt sich in einen dieser Sitze fallen und wackelt mit dem ganzen Körper, als sei der Sessel just in dem Moment angesprungen. Ein Piepen ertönt von irgendwo her. Wir quatschen weiter und warten darauf, dass wir endlich in den Bus gelassen werden. Das Piepen nervt schon etwas. Ein Wachmann läuft zielstrebig an mir vorbei... zum Massagesessel. Er bittet Magda aufzustehen... und das Piepen verstummt.

Die Sicherheitskontrolle stellt sich als harmlos raus... noch nie hat jemand so zart mein Gepäck abgetastet.

Unsere Plätze befinden sich im unteren, hinteren Teil des Busses. Im Fernseher läuft ein Film über einen Affen im Beduinenkostüm und Smartwatch am Handgelenk. Ein Busfahrer läuft mit einer Kamera durch die Reihen und fotografiert jeden Passagier. „Für die Sicherheit.“, meint er nur. Ich lächele in die Kamera. Dann überlege ich, ob ich nicht lieber eine Grimasse hätte schneiden sollen... das macht dann die Identifikation meiner Leiche vielleicht einfacher. Aber auf meiner Peru-to-Do Liste steht sowieso ein „Nicht sterben“-Stichpunkt.

Wir richten uns schon beinahe häuslich ein, als der Bussteward seine Runde dreht und uns fragt, ob wir nicht lieber oben sitzen wollen. Wir sind erst skeptisch, dann ziehen wir doch um... den Göttern und den 22 Stunden Horrorfahrt sei Dank! In der oberen Etage hat jeder genügend Platz um sich waagerecht hinzulegen... also fast. Ich mit meinen 1,63m stoße im Liegen schon an den Sitz meines Vordermanns. Dann geht’s endlich los. Wir verlassen Lima und beim Durchfahren der Vororte bekommen wir langsam einen echten Eindruck von Peru. Kastige Häuser, zerrüttet und unverputzt wie zufällig an den Berg geschraubt, stehen Wand an Wand. Riesige umzäunte Abbaugebiete. Menschen in orangen Anzügen. Wir fahren ewig gerade aus, bis wir in der Dunkelheit nichts mehr erkennen können. Soweit geht es uns allen noch gut. Magda und ich schaffen es sogar, uns über das Abendbrot lustig zu machen. Der Pudding erinnert eher an Schnupfen und das Zitronenbonbon schmeckt nach Klostein. Es steigen auch noch Passagiere hinzu. Ein älterer, großer Peruaner setzt sich neben Magda. „Der Schnarcht bestimmt.“, meint sie bloß und sie behält recht.

Die Irrfahrt beginnt erst, als es in die Berge geht. Die Serpentinen und Bergumkurvungen halten uns schließlich wach. Gefühlt zweitausend 180-Grad-Kurven lassen unsere Mägen protestieren. In der Nacht höre ich Würgelaute. Ich als Sympathiebrecher halte mir die Ohren zu und denke über meine Masterarbeit nach, um ja nicht in Versuchung zu kommen. Das meditative „Fühle die Kurve. Sei die Kurve.“ funktioniert auch nur bedingt. Aber am schlimmsten sind die Toilettengänge. Zum Glück gibt es im Klo überall Haltegriffe. Ich schaue mich für einen Moment im Spiegel an: Eine leichenblasse, zerzauste Luise schaut zurück. Dann werde ich Zeuge, wie die Spiegelluise in einer beherzten Linkskurve mit der Schläfe an die Klotür kracht. Auf dem Rückweg habe ich zwar eine leere Blase, aber ich lande beinahe auf dem Schoß eines schlafenden Peruaners. Das Mädchen neben ihm kichert. Ich will auch lachen, habe aber das Gefühl, dass meine Mundwinkel am nächsten Auto hinter uns befestigt sind.

Endlich geht die Sonne auf... und jetzt hat man wirklich das Gefühl in Peru zu sein. Berge, Wälder... es ist so schön... eigentlich will ich diese Momente mit niemanden teilen. Ich will sie einschließen und für mich behalten... pflichtbewusst zücke ich die Kamera und nehme auf. Dafür hat sich der flaue Magen echt gelohnt. Felsen ragen bedrohlich über uns hinweg. Pflanzen, die man sonst nur von Omas Balkon kennt, wachsen hier zwei Meter hoch. Ein atemberaubender Anblick.

Zum Frühstück müssen wir stehenbleiben, weil uns sonst das Essen vom Tablett rutscht. Wir Atmen alle auf.

„Also ich muss heute nicht in Museum, dafür morgen in Kirche.“, sagt die blasse Heda trocken.

Auf der weiteren Fahrt begegnen uns kleine Dörfer und Höfe: Überall wird gebaut. Die Stahlträger der in Zement gegossenen Pfeiler aller Häuser ragen senkrecht aus den Dächern. Es sieht alles nach der Devise aus: Hier kommt noch was hin... irgendwann. Derweil werden die Spitzen der Stäbe mit Plastikflaschen und Eimern abgedeckt oder als Wäschestander genutzt. Auf so gut wie jedem Dach, findet man eine Kuh- und Stierfigur befestigt. Als eine Art Schutzsymbol stehen sie oft unter einem kleinen Kreuz. Die Vermischung zweier Religionen, gebannt auf den höchsten Punkt des Zuhauses. Auf den Höfen tummeln sich die Tiere: Hunde, Esel, Kühe, Schafe, Ziegen... nicht eingezäunt schaut so manches Vieh zu unserem Bus hinauf. Gepflügt wird hier noch mit Hand und Ochsenkraft. Bunte Kleidung und diese tollen Kopfbedeckungen entdecken wir nicht nur, es scheint wirklich Alltagskleidung zu sein. Das klingt jetzt alles romantisch... Magda und ich schauen nur im Liegen nach draußen. Zeichnen, fotografieren... bewegen... Dinge, die nicht möglich sind. Endlich kommen wir an. Der Bus bleibt stehen. Ich weiß nicht mehr, wie ich mich aus dem Bus manövriert habe, auf jeden Fall stehe ich dann irgendwann bei den anderen. Wir werden schon von einem Taxifahrer drangsaliert. Fabi sucht die Adresse. Magda verhandelt noch über den Preis. Schließlich fährt uns der schlecht gelaunte Mann mit zwei Taxen in die Unterkunft.

ENDLICH DA! WIR HABEN ÜBERLEBT!

 

Morgen ist Samstag. Markttag! Mal sehen, wie es uns in 3300 Metern Höhe ergeht.

 

Bleibt gespannt. Wir sind es auch.

Herzlichst

 

Luise