02.09. - Flüche und Haare... unser erster Tag in Cusco

Luise

Tief Luft holen ist das erste, was ich beim Aufstehen tue. Mein Herz schlägt schnell. Es ist ein kalter Morgen. Wer jetzt aber hier Reiseromatik erwartet, kann gleich wieder gehen und hinter sich die Tür zumachen. Die dünne Luft auf 3260 Metern Höhe macht mir leicht zu schaffen, aber das ist hoffentlich nur die Gewöhnung. Der Mann der Vermieterin, hatte uns gestern beim Wohnungsrundgang (und ja er hat uns alles gezeigt, wo die Töpfe stehen, wie das Licht angeht) eine Schale Cocablätter hingestellt. Trotz meiner Affinität zu Heilpflanzen und Kräutern... ich rühre das Zeug nicht an... Nur weil da 0,1 % Kokain drin sind, muss ich mich nicht wie eine 13 Jährige verhalten, die zum ersten Mal Schnaps angeboten bekommt. (Meine Mitreisenden halten mich an dieser Stelle sicher wieder für paranoid. Keine Sorge... es wird noch schlimmer. :) ) Das wirkliche Ausmaß der Höhe wir mir erst bewusst, als ich die Flasche Sonnencreme aufmache und mir ungewollt eine mächtige Portion entgegen fluppt. Alle Tuben sind aufgebläht. Füller und Tuschepinsel sind ausgelaufen. Aber klar, so ein Kubikmeter Luft wiegt auch was und wenn wir von der Küste gestartet sind, dann fallen die 3000 Höhenmeter drucktechnisch ganz schön ins Gewicht...

Der gemeinsame Morgen beginnt heute relativ spät, alle sind noch erschöpft von der Busfahrt. Aus der Nachbarwohnung kommt Musik. Heda kommt zu Magda und mir ins Zimmer getanzt. „Mädels, es ist Samstaaaag! Heut´ ist Markttaaaag!“

Den Tag zuvor waren wir des Abends kurz noch einkaufen gewesen. Schon im Dunkeln hatte uns Cusco verzaubert. Die Stadt liegt in einem Tal. Überall sind in der Ferne noch kleine Lichter zu erkennen. Als würde man sich in einem Sternenmeer bewegen. Es ist hier nicht still, aber ruhig. Eine Erleichterung nach dem lauten Lima. Trotz des fehlenden Lichts sind noch immer Kinder auf den Straßen unterwegs. Wir fühlen uns gleich sicherer. Und am Tage dann empfängt uns Cusco mit seiner ganzen Atmosphäre. Das lässt mich sogar meine brennenden Lungenflügel vergessen: Menschenmassen strömen über die Straßen. Bunte Tücher und Hüte, wo man nur hinsieht. Navi-Fabi hat uns schon einen Markt herausgesucht, aber schon auf dem Weg dahin eröffnet sich uns eine wahre Reizüberflutung: Stände und Läden dicht an dicht. Und davor sitzen, auch dicht an dicht, Frauen in ihren Ponchos und Röcken und verkaufen Gebäck, Streichhölzer und Putzmittel. Jemand schiebt eine Schubkarre voller Erdbeeren an uns vorbei. Es ist gerade Mittagszeit, die bunten Frauen essen Suppen oder Reis und trinken mit einem Strohhalm Limo aus Tüten. Streunende Hunde haben sich an jeder freien Stelle zum Schlafen hingelegt. In der Sonne ist es ziemlich warm. Aufgrund der Äquatornähe sind die Sonnenstrahlen viel intensiver. Denn kaum kommen Wolken auf, ist es schon wieder zugig kalt. Aber wir denken in diesem Moment an irgendwelche Befindlichkeiten. An jeder Ecke riecht es anders: Mal nach Ammoniak mal nach Obst, Fleisch oder Räucherstäbchen. Im San Pedro Markt angekommen, gehen uns bald die Augen über... Heda muss schon lachen, wenn Magda und ich, wie zwei Elstern an jedem Schmuckstand kleben bleiben. Schon am ersten Stand mit Bändern, bleiben wir stehen. Die Farbenpracht erschlägt einen erstmal. Die Nische, in der die Waren aufgehängt und gestapelt sind, ist keine zwei Meter breit. Zwischen uns drängt sich die Verkäuferin durch und stellt sich in den armlangen Verkaufsraum. Sie ist so winzig! Mit lieben Augen schaut uns die alte Dame an. Magda fragt gleich nach den Bändern und wir geben die Bestellungen auf. Magda erzählt von unserem textilen Hintergrund und wo wir herkommen. Die Dame spricht irgendeinen Dialekt, weshalb nicht alles verständlich ist, aber wir lächeln weiter. Heda indes ist bis an die Rückwand des Standes vorgedrungen und zieht noch einige Schätze hervor. Die Verkäuferin erzählt, dass alles hier auf den Dörfern hergestellt wird. Als wir uns verabschieden, schenkt Heda ihr noch eine Kleinigkeit aus Deutschland. Die kleine Frau freut sich und schließt Heda in die Arme... Ein rührender Moment, der uns gleich noch positiver stimmt. Weiter geht’s durch die riesige Halle. Überall gibt es was zu Essen, frisch zubereitet. Das Filmen wird zunehmend schwerer. Gerade die älteren Leute werden richtig böse. Obwohl ich schon keine einzelnen Personen sondern nur Raumsituationen aufnehme. Die Angst, mit der Kamera die Seele eines Menschen einzufangen, ist immer noch gegenwärtig. Es ist unglaublich interessant, dass der Mensch dazu neigt, Dinge, die man nicht kennt oder versteht, zu verteufeln und ihnen damit aber einen hohen Stellenwert einräumt. Ihnen Wichtigkeit verleiht, obwohl sie für einen selber einen bösen oder schlechten Aspekt darstellen und man selber diesen ja eigentlich so klein wie möglich halten will... Eine Frau hat mich sogar mit einem Bündel Trockenblumen bedroht. Aus Angst, dass sie mich gerade verflucht hat, male ich ein Schutzsymbol mit der linken Hand in die Luft... Nicht das ich an sowas glaube. (Knock. Knock. Knock. Ich klopf dreimal auf Holz.)

Heda trinkt genüsslich einen Sapallosaft und weiter durchforsten wir die Halle. Bepackt mit den ersten Arbeitsmaterialien laufen wir die Straße wieder hinab. Eine Gasse ist besetzt mit unzähligen Kräuterfrauen, die auf kleinen karierten Tüchern ihre Ware anbieten. Für mich lautet also die Aufgabe am Abend: Vokabeln raus suchen und mir morgen möglichst viel über die Pflanzen erfragen.

 

Ein Punkt auf meiner Peru-to-Do-Liste, der erst vor Ort dazu gekommen ist: Hier zum Friseur gehen. Die Gelegenheit ist günstig. Heda, Magda und ich betreten einen winzigen Friseursalon. Fünf Friseure schneiden hier im Akkord. Haare waschen ist nicht. Preis pro Haarschnitt: 5 sol – umgerechnet 1,70 € … Ich bekomme eine Mappe in die Hand und setzte mich in den Frisierstuhl. Bilder von Stars und Sternchen aus aller Welt starren mich an. Ich blättere eine Weile... die Friseurin bittet mich freundlich auf den Warteplätzen platz zu nehmen, damit sie derweil noch jemand anderen dran nehmen kann. Mir ist das nix. Ich zücke mein Notizheft und zeichne schnell die Frisur, die ich habe will. Gerade wird eine andere Friseurin frei. Sie bittet mich Platz zu nehmen. Ich zeige ihr die Zeichnung und dank Magdas Übersetzung geht es auch sofort los. Ich scheine einige Leute im Salon zu belustigen... Es freut mich immer, wenn ich Leute zum lachen bringen kann. Heda filmt das Ganze. Magda lächelt mich an. Die erste Herausforderung liegt schon mal im Kämmen. Ich habe dünnes, gelocktes Haar, nicht wie die Peruaner mit ihrem schönen, kräftigen und glatten Schopf. Ganz zart und vorsichtig schneidet die Frau mir die Haare. Nass gesprüht und aalglatt bekomme ich einen Longbob beschnitten und den Nacken rasiert. Dann bin ich fertig. Erst auf Nachfrage föhnt sie mir die Haare... sagen wir mal bügeltrocken. Im Moment kann ich gar nicht sagen, ob ich zufrieden bin. Als ich in den Spiegel schaue, blickt eine dicke Severus-Snape-Variante von mir zurück. Ich bezahle mit einem zehn sol Schein und sage, dass das so stimmt. So richtig annehmen will sie das Trinkgeld aber nicht. Als Heda ihr auch noch ein deutsches Mitbringsel überreicht, will sie uns die fünf sol wieder geben. Mit einem Lächeln und vielen Muchas Gracias verlassen wir den Laden. Der Boden liegt voll mit schwarzen Haaren und ein paar roten Fusseln von mir... Ich bin stolz. Auf einer solchen Reise sollte man immer etwas vom alten Selbst zurück lassen... und wenn das für mich nur einige gefärbte Hornfäden aus Keratin beinhalten... umso besser.

 

Morgen ist Stadtrundgang angesagt... und vielleicht finden wir noch andere Märkte. :)

 

Bleibt gespannt. Wir sind es auch.

Herzlichst

 

Luise