09.09. - Zwischen Zikaden und Bananenblättern... Unser erster Tag im Dschungel

Luise

Sieben Uhr steht der Bus vor unserer Haustür. Wir räumen noch schnell die Bude auf, dann sprinten wir zum Auto. Uns begrüßen Walter und José, die unserer Gepäck einladen. Es ist ein kleiner, weißer Bus mit elf Sitzplätzen. Wir sind erleichtert. Nach Machu Picchu hat keiner von uns Lust touristisch großportioniert abgefertigt zu werden. Nach kurzer Fahrt halten wir an und José, der Guide, nimmt unseren Nahrungsvorrat für die nächsten Tage entgegen. Dann müssen wir noch auf jemanden warten. Fabi verdreht die Augen: „Wir machen nur Platz für ´nen hübschen Peruaner.“ Und dann kommt er angejoggt... der „Guide in training“, wie José sagt. Der junge Mann steigt mit einem leicht gehetzten Lächeln ein und streicht sich die dunklen Haare aus dem Gesicht. Gut, denke ich mir. - Und ich will Peru auf einem fliegenden Alpaka bereisen... Ich warte kurz....aber mein Wunsch geht nicht in Erfüllung. Wir fahren also aus Cusco hinaus. An jedem zweiten Haus steht ein Schild: Cuyeria – Meerschweinchen, aber nicht die zum streicheln... Wir rümpfen alle die Nase.

In Oropesa halten wir erneut. Hier gibt es angeblich das beste Brot. Was uns Jose dann zum Kosten anbietet nennt sich Chuto und erinnert an ein riesiges Milchbrötchen. Das Hefebrot ist sehr süß... wie alles in Peru. Wir fragen nach dem Namen des Azubis. „Clewer.“ Sein Name sorgt für etwas Belustigung. „Weis nicht, ob er wirklich clever ist.“, meint José. Clewer lächelt nur süffisant.

In Paucartambo machen wir eine kurze Pause und besuchen dort ein Museum. Neben den typischen Kopfbedeckungen der Schamanen, Ch´ullu genannt und den bemalten Bekleidungen der Urwaldbewohner, gibt es eine ganze Ausstellung über die Fiesta de la Virgen de Carmen, welche immer am 16. Juli für drei Tage lang zelebriert wird. Clewer erklärt uns viel über die ausgestellten Kostüme und Masken. In schillernden Farben und mit glitzernden Applikationen erzählen die Verkleidungen über die Geschichte Perus. Ob über die Chucchu-Masken, mit ihrer gelben Farbe und Geschwülsten im Gesicht oder über die Spanier mit den dicken Bäuchen und der Alkoholflasche in der Hand... Die Kostüme vermitteln immer eine saftige Satire vergangener Ereignisse.

Gefüllt mit Wissen machen wir noch einen Abstecher zur Tankstelle, aber nicht um das Auto aufzufüllen. Jose steigt mit einer leeren Fantaflasche aus und füllt sie am Zapfhahn mit lila Flüssigkeit... für den Generator in der Lodge.

Der weitere Weg führt uns durch staubige Gefilde, alles ist grau. Der Staub zieht in den Bus und lässt uns husten. Die Wegstrecke wird steiniger. Durch das Gerüttel wird mein Hintern ganz taub. Am Eingang zum Parque Nacional del Manu legen wir die erste Rast ein. Anhand der dort aufgestellten Karte erklärt uns der Guide wo und wie lang wir uns an welchem Ort aufhalten. Das Tropengebiet des Manu Parks ist riesig. Während unserer vier-Tages-Reise erkunden wir nur einen winzigen Teil. José erzählt uns, dass zehntausende Tier- und Pflanzenarten schon hier gezählt wurden und es auch Forschungsstationen amerikanischer und deutscher Forscher gibt. Beim Mittagessen sorgt die Granadilla für kulinarische Neugier: Eine orangene Frucht mit harter Schale. José macht es uns vor. Wie ein gekochtes Ei haut er den leuchtenden Ball auf den Tisch. Im Inneren befinden sich Fruchtfleisch ummantelte Kerne. Sprich: Knackst du die Hülle, darfst du süßes Froschlaich auszutschen... wir sind begeistert.

Gegenüber der Einfahrt sitzt eine Frau am Webstuhl. Endlich können wir José klar machen, warum wir hier sind. Ambitioniert schreitet José also voran und will für uns übersetzten. In Quechua zeigt uns die Weberin die Teppiche hinter sich. Und wie auf´s Stichwort erklärt sie uns, mit welchen Pflanzen sie welche Farbtöne für die gesponnene Wolle erzeugen kann. Neben ihr liegen alle Zutaten, die sie uns nacheinander vorstellt. Mir kommt das wieder sehr drapiert vor... schließlich braucht sie zum Weben keine Färbemittel. Ich kann aber froh darüber sein, denn so kann ich sehr schöne Aufnahmen für den Dokumentarfilm machen. Vierzehn Stunden sitzt sie täglich am Webstuhl. Ihr schmerzen die Hände und der Nacken. Unsere Ehrfurcht ist groß. Jeder von uns saß schon einige Stunden an den großen Schaftwebstühlen, die im Vergleich zur südamerikanischen Webanlagen ein Luxus darstellen.

Im oberen Bereich der Anden ist der Dschungel durch den vielen Nebel überhaupt nicht sichtbar. Die Wolken kommen vom tiefgelegenen Regenwaldgebiet und stauen sich quasi an den Anden. Jede Kurve scheint im sichtbaren Nichts zu enden. Einige hundert Höhenmeter tiefer lichten sich die Reihen und der Urwald wird sichtbar. Irgendwann ruft Clewer, der schon die ganze Zeit konzentriert aus dem Fenster starrt: „Stopp! Stopp!“ Der Wackelbus hält an. Und da sehen wir ihn... den Cock-of-the-Rock. Als einer der tierischen Repräsentanten Perus, sitzt der leuchtend rote Felsenhahn gut versteckt im grünen Dickicht. „Man sieht ihn nicht oft. Wir haben Glück.“, meint José. (Interessanterweise sehen wir an diesem Tag bestimmt drei oder vier Exemplare dieser Schmuckvögel mit dem charakteristischem Federkamm über der Stirn. Unsere Reise ist vom Glück bekleidet.) Auch für Adler halten wir an. Magda mit ihrem Teleobjektiv hat natürlich die beste Sicht. Swantje mit ihrem Weitwinkelobjektiv fotografiert eher Suchbilder. Ich filme natürlich und warte darauf, dass sich der Vogel bewegt – am besten weg fliegt. Wir stehen eine Weile. Ein zweiter Bus kommt angefahren und hält ebenfalls an. Alle warten gespannt, dass der Adler sich erhebt. Der König der Lüfte muss sich fühlen, wie ich früher in der Sportstunde: Es reicht nicht anwesend zu sein, man muss auch noch Kunststücke vollführen.

 

Bevor wir die Lodge erreichen, steht uns noch eine einstündige Wanderung bevor. Die Kamera im Anschlag dokumentieren wir gefühlt jedes Blatt, jedes Insekt und den Vogel. Die Farnblätter die an dem Berghang wachsen, könnten mir locker als Hängematte dienen. Von Josés Ausführungen bekomme ich nicht viel mit. Wie immer hänge ich hinterher. Dafür kann ich mich aber mit Clewer unterhalten, der anscheinend als Schlusslichtaufpasser abkommandiert wurde. Für ihn ist es erst die zweite Tour als Guide. Kein Wunder also, dass José ihn so hart ran nimmt. Der alte Hase ist hier schon seit 18 Jahren jede Woche unterwegs.

Angekommen in der Lodge trauen wir unseren Augen kaum. Hölzerne Hütten auf meterhohen Pfosten geben uns das Gefühl direkt in einen Reisekatalog gesprungen zu sein. Wir haben ungefähr fünf Minuten Idylle. Dann wird der Warmwassergenerator angeworfen...

Es wird wieder sehr schnell dunkel hier. Die ersten Glühwürmchen schweben über die Terrasse. Unserer Zimmer bestehen aus zwei Betten und darüber gespannte Moskitonetze. Wir verstauen unser Gepäck und setzen uns auf die Veranda. Magda stickt. Da kommt Swantje vorbeigerannt, frisch geduscht und mit nichts außer einem Handtuch bekleidet. Sie strahlt: „Wer hätte gedacht, dat ick mal im Handtuch und Bübchen Himbeerspaß (Duschgel) durch den Dschungel renne.“

Um sieben gibt es Abendbrot. Quinoasuppe als Vorspeise, Nudeln mit Tofu und Maispudding. José erzählt, dass Quinoa total gesund sei, man es aber nicht jeden Tag essen solle. Und seitdem es in Europa als Superfood bekannt und der Export gestiegen ist, wird es auch in Peru für mehr Geld verkauft. Dann schwärmt José von diesem Maispudding. Wir wissen schon, was auf uns zu kommt und verziehen die Gesichter. Aus Anstand nehme ich zwei Löffel von der dunkellilanen Masse und bemühe mich nicht zu würgen. Wie eingedickter Glühwein liegt mir der Pudding des Todes auf der Zunge. Ich schlucke und spüle gleich mit Kamillentee nach. Nach vielen Scherzen beim gemeinsamen Essen und weiblichen Glucksen und Gekicher taut José endlich auf. Clewer lacht sowie so bei allem mit, egal ob wir Deutsch, Spanisch oder Englisch reden.

 

Die erste Nacht im Urwald ist berauschend. Die Insekten sind mindestens genauso laut, wie die Autos in Lima. Dazu mischt sich das monotone Flussrauschen. Die Nacht ist mild und unter dem Moskitonetz fühlt man sich sehr sicher. So richtig glauben wir es noch nicht: Wir sind im Dschungel.