10.09. - Urwaldzauber

Luise

 

Der Tag beginnt in drei Schichten: Sonnencreme, Mückenschutz und Fenistil. Zum Frühstück gibt es Ei. Durch das von Gaze umschlossene Fenster können wir Kolibris beobachten. (Das „Oh, ist das schön!“ erscheint in diesem Moment noch angemessen. Nach drei Tagen mit vier Frauen im Urwald, zuckt mein rechtes Auge ganz unauffällig, wenn jemand zu diesem Satz ansetzt...) Das erste Gesprächsthema am Frühstückstisch ist diesmal ausnahmsweise nicht die Verdauung, sondern die Mücken. José erzählt uns, dass bei ihm Stiche nur ein paar Stunden anhalten. Es ist eine Sache der Gewöhnung und der Herkunft. Die Ureinwohner beispielsweise werden die ganze Zeit zerstochen, besitzen aber mehr natürliches Antihistamin und drehen deshalb nicht so schnell durch, wie wir Weicheier. Kaum fällt das Wort auf die Ureinwohner, sind wir gespannt und wollen mehr erfahren. Nur einige wenige Kilometer entfernt befindet sich ein Stamm. Vor knapp drei Jahren gab es mal Kontakt zu ihnen. Es gibt sogar ein Video, welches er uns später zeigt. Die meisten Natives sind Jäger und Fischer, da der Wald nicht viele essbaren Pflanzen bietet. Stämme, die den Kontakt suchen, müssen sich an bestimmte Regeln halten. Oft geben die Einwohner ihre eigene Kultur auf und werden abhängig von Spenden aus der „Zivilisation“ - wie José immer gern in Anführungszeichen betont. An seiner Miene erkennt man, wie ihm das missfällt. Von Menschen, die alles hatten, werden sie zu Menschen die nichts mehr haben.

 

 

 

Als Aufwärmübung laufen wir eine Stunde des Weges.(Wieder wird jedes Ameisenhäufchen von allen Seiten dokumentiert. Ich bin mir sicher: Anhand unserer tausend Bilder können wir später ein exaktes 3D-Model des Regenwalds erstellen.) Dann werden wir zum Rafting gefahren. Wir halten unterwegs in Patria. Wieder will José Brot kaufen. Diesmal dürfen wir uns sogar die Bäckerei anschauen. Ich bin überrascht. Bei diesen süßen Burgerbrötchen, die es hier nur zu kaufen gibt, habe ich immer eine sterile Fließband Abfertigung erwartet... irgendwie amerikanisch. Aber in der kleinen Hütte im Hinterhof erwartet uns ein riesiger Steinofen. Über der Lehm verputzten Kuppel hängen die Balken voller Asche. Der Bäcker nimmt die Bestellung entgegen und schöpft die kleinen Brote aus einem hölzernen Basin.

 

Auch Bananen will José kaufen, als er aber mit leeren Händen wieder einsteigt, stellt der Fahrer nur grunzend fest: „Ist ja Sonntag. Da gibt’s wohl nix.“

 

Teils fahren wir durch wilden Dschungel, teils durch kleine Dörfer. Überall liegen Cocablätter auf blauen Plastikplanen zum trocknen aus. Erst in der nächsten Kleinstadt finden wir Kochbananen und Yuka. Am Straßenrand finden die Männer sogar die Annatto-Pflanze, die die Frau zum Färben von Orangetönen benutzt. José fackelt nicht lang und bricht eine handvoll der stacheligen Früchte ab. „Damit könnt ihr dann euer Gesicht bemalen.“, lacht er.

 

In einem kleinen Ort hält schließlich der Bus und fährt rückwärts in einen Hof. Auf dem Tor sitzt ein roter Papagei und beäugt uns wachsam. José erklärt, dass wir ab hier zu Fuß zum Rafting müssen. Wir sollen uns umziehen, Badekleidung, Sandalen und Clewer soll uns bemalen. Wir lachen über den Scherz, aber José meint es ernst. „Das hilft gegen die Mücken.“ Jaja, verarschen kann ich mich selber. Aber nachdem sich Heda bereitwillig das Gesicht verzieren lässt, denke ich mir auch, sollen die anderen doch auch ihren Spaß haben. Wir sind fast fertig, da deutet José auf meine Turnschuhe. „Du brauchst andere Schuhe, es wird sehr nass. In dem Laden da vorn gibt es FlipFlops.“ Was der gute Mann nicht weis; nach öffentlichen Treppengeländern und Pausenhofmobbern gibt es nur eins, was ich verabscheue: Diese Moosgummifußzehenspalter... Zwei Minuten später bin ich also stolzer Besitzer der untersten Schuhwerkkaste. Caesar, unser Raftingbootsführer verteilt Schwimmwesten und Paddel. Zumindest hat Heda auch Clewer geschminkt. Wir sehen also alle gleich bescheuert aus, als wir im Gänsemarsch, mit Kriegsbemalung, im Bikini , mit Paddel unterm Arm und rotem Wasserharnisch los watscheln. Die Dorfbewohner schauen uns belustigt hinterher. „Wir sind die Ritter der Schwafelrunde!“, rufe ich noch, werde aber sofort bestraft, indem ich über meinen rechten FlipFlop stolper und mir mit dem Paddel selber eine verpasse. Heda grunzt schadenfroh. Clever weiß nicht, ob er lachen oder mir helfen soll.

 

Am Wasser angekommen, wird das Schlauchboot aufgepumpt. Ceasar macht uns die rudimentären Paddelbewegungen vor und nennt uns die dazugehörigen Signale. Wir tragen das Boot ans Wasser. Ceasar überblickt die Gruppe und Verteilt seine Paddler. Er fragt mich, ob es ok ist, wenn ich vorne sitze. Zu jeder Schandtat bereit, nicke ich. Erst später verstehe ich, warum das so ein Sonderplatz ist... Das Boot ist schnell bestiegen. Vom seichten Wasser geht es in die ersten Stromsschnellen. Wir brechen eine Welle und die erste Reihe wird eiskalt voll geschwappt. „Ladies, forward!“, ruft Ceasar und wir paddeln los. Die meiste Zeit rudere ich pflichtbewusst in der Luft. Die Angst hinein zu fallen schwindet nach und nach und wir legen uns ins Zeug. „Stoooop, Ladies!“ Im ruhigen Wasser angekommen, heben wir die Paddel in die Lüfte und stimmen Siegesgeheul an. Nach der Biegung liegt ein kleiner, grauer Steinstrand. Wir lassen uns ans Ufer treiben, legen die Rettungswesten ab und dürfen endlich schwimmen. Mit unseren orange verwaschenen Gesichtern schauen wir uns um. Die Strömung nimmt uns leicht mit und mit strampelnden Bewegungen halten wir dagegen. Ruhe und Bewegung treffen sich an diesem Ort. Die Felsen, gegen die das Wasser laut schlägt, bilden einen Verlauf von Grünspan über ein kühles Pupur bis einem tiefen Indigo. Die Bäume, ewig hoch, mit gewaschenen Wurzeln und singenden Vögeln in den Kronen, geben uns das Gefühl im Einklang zu sein.

 

„Das ist Leben.“, sagt Magda, „Wenn ich es in einem Bild beschreiben müsste, dann so...“ Dann lächelt sie und der Reihe rum erstrahlen auch unsere Gesichter vor Glück....

 

 

 

 

 

 

 

Fortsetzung folgt...