10.09. - Urwaldzauber II

Luise

Wieder im Boot haben die beiden Männer keine ruhige Minute. Die Frauen quasseln in einer Tour. Und nicht mal die rauschenden Wellen schaffen es nicht, das Gegacker zu übertönen. Clewer lacht bei jedem Witz treu mit. Unmengen an Vögeln begegnen uns an den Ufern. Cesar meint, die Fahrt neigt sich langsam dem Ende zu. Wir stöhnen enttäuscht auf. Der Fluss wird schmaler und wir treiben auf den Hafen zu. Der Bootsmann fragt uns, ob wir nochmal schwimmen wollen. Unsere Augen glänzen und wir lassen uns vom Schlauchboot direkt ins Wasser fallen. Die Rettungswesten geben uns die Möglichkeit im Dschungelfluss zu treiben und die Landschaft zu genießen. Ein merkwürdiges Gefühl. Man fühlt sich so winzig und unbedeutend. - Gleichzeitig verspürt man aber unglaubliche Freude, Teil dieser Welt zu sein. Ich warte jeden Moment darauf, dass die Scheinwerfer ausgehen, die Bäume mechanisch im Erdboden verschwinden und eine Computerstimme sagt: „Simulation beendet. Vielen Dank, dass sie sich für Parque de Manu entschieden haben.“

Ich drehe mich wie eine luftgefüllte Tonne auf der Wasseroberfläche.

„Leute, wir sind im Scheiß Regenwalds... Leute!“, sage ich zum hundertsten Mal.

Wir dümpeln so vor dem Boot, testen die Felswandakustik indem wir Arien schmettern und den lauten Vögeln Konkurrenz machen. Dann müssen wir wieder ins Boot. Aus einiger Entfernung sehe ich dabei zu, wie Swantje, Magda und Fabi vom Azubi an den Rettungswesten in das Schlauchboot gezogen werden. Mit all seinen Kräften hievt er die Mädels über die Bootwand. Ihre Gesichter liegen beinahe in seinem Schoß... Ich will nicht... Ich will ganz und gar nicht. Meine Paddelbewegungen werden dezent panisch, aber das Boot holt mich schon ein.

 

„Luise, entspann dich. Lass es einfach passieren.“, höre ich Magda sagen. Ich bete inständig, dass ich beim Herausheben meine Badehose anbehalte. Mit beiden Händen kralle ich mich an der Reling der Titanic fest. Der dünne Faden gibt mir wenig Sicherheit. Ich schließe die Augen. Dann kommt der Rupfer. Ich halte die Luft aus unerfindlichen Gründen an und warte darauf, dass sich mein Körperschwerpunkt ins Boot verlagert. Der Wal ist binnen weniger Sekunden gefangen. Ich beginne wieder zu atmen.

Jetzt fehlt noch Heda. Die weigert sich aber vehement.

„Ich kann auch so bleiben.“, sagt sie und klemmt einen Fuß und einen Arm am Schlauchboot fest. So geht es zurück in den Hafen. José wartet schon auf uns. Von einem überdachten Ausguck beäugt er uns wachsam.

 

Wir tauschen das Schlauchboot gegen ein langes, blaues Motorboot und überqueren den Fluss. Mitsamt Gepäck schippern wir durch das trübe Nass und kommen an einer verschlammten Anlegestelle an. Meine erste Amtshandlung bevor wir uns auf den kurzen Marsch zur nächsten Lodge begeben: Schuhwechsel. Als ich die giftgrünen Schaumstofflappen gegen tatsächlich echte Schuhe ausgetauscht habe, meint José. „Zieh lieber die Badeschuhe an, wir müssen noch durch einen angrenzenden Flusslauf gehen.“ - Die Schmach nimmt einfach kein Ende!

 

Auch als wir uns auf den Weg machen, verkleidet als voll beladene Gepäckstückmonster, muss ich trotzdem filmen. Das Wasser des Flusses ist nicht tief. Bis zum Knöchel umspült es meine Beine. Mein kleiner Rucksack versperrt mir die Sicht auf meine Füße. Am anderen Ufer flattert eine Schar Schmetterlinge. Wie die Verrückten stürmen alle darauf zu. Ich stoße mir schmerzhaft den Zeh an einem Stein und versuche mein Gleichgewicht auf einem Bein zu halten.

„Oh, ist das schön!“, sagt Magda. - Ich schwanke leicht nach vorn.

„Och, sind die süß!“, sagt Fabi . - Ich schwanke wieder zurück, die Kamera in die Höhe gestreckt.

„Seht euch die Farben an!“, sagt Heda. - Jetzt darf ich mich entscheiden, welcher Rucksack nass wird. Ich wähle den Rucksack auf meinem Rücken und stellte meinen pochenden Fuß sachte ab. „Baum fällt!“, will ich rufen, aber plötzlich haben ich wieder festen Stand... Ich hab´s halt doch drauf! Wen interessieren schon Schmetterlinge. - ich habe in den Urwald mit FlipFlops bezwungen und bin nicht draufgegangen!

 

Nachdem wir in der Lodge ausgepackt haben und uns José mit einem eindringlichen „Follow the rules!“ wiedermal zur Ordnung ruft, führt uns Clewer durch den angrenzenden Wald. Auf einer Lichtung stehen wieder kleine Häuser auf hölzernen Balken. Die sind noch nicht fertig, meint Clever, sollen aber später auch mal Gäste beherbergen. Überall stehen einzelne Bäume - Orangenbäume, Affenbrotbäume. Durch die schmal verteilten Beete, die mein Auge gar nicht als solche wahrnimmt, humpelt ein kleiner, huzeliger halbblinder Mann. Er unterbricht Clevers botanische Ausführungen immer wieder und hält uns immer wieder verschiedene Pflanzen unter die Nase. Liebstöckel, Knoblauch und Zuckerrohr... alles scheint er hier im Garten zu haben. Philippe ist ein Schamane und wohnt seit der Gründung, sprich seit 18 Jahren, hier und kümmert sich um den Garten. Das Grundstück gehört einem amerikanischen Professor, der einmal im Jahr mit seinen Studenten hier vorbeikommt. Magda fragt, warum er hier alleine lebt.

„Weil er das so will.“, bekommen wir nur als Antwort.

 

Auf dem Rückweg entdecken wir einen riesigen Schmetterling. Der Bananenfalter setzt sich auf Hedas Turban nieder. Das Blitzlichtgewitter beginnt. Der Schmetterling hebt ab und wir erstarren alle. Wieder lässt sich das grazile Geschöpf nieder. - Diesmal auf Swantjes Schulter. Blitzlichtgewitter. Dann hält die Welt wieder still. Immer wieder. Die Dekadenz des Touristentums ist mir nie so deutlich erschienen...

 

 

 

Der Tag scheint endlos... und er ist auch noch nicht vorbei...

 

Fortsetzung folgt...

 

 

 

 

 

 

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