26.08. - Unser erster Tag in Peru...

Luise

Dank der Zeitumstellung lag jeder von uns zwischen um zwei und um vier Uhr Ortszeit wach herum. Der Flug hatte uns erschöpft und so verbrachten wir den frühen Vormittag noch eingehüllt in unseren Betten. Das tosende Geräuschemeer aus Hupen, Alarmanlagen und pfeifenden Verkehrspolizisten ließ mich beruhigt schlafen. Anderen bescherte diese homogene Klangkulisse eine unruhige Nacht.

 

Unsere Unterkunft mit Panoramaausblick lässt uns beim Aufstehen ernüchtern: Grau trübe Wolken, kein Sonnenstrahl und zugige Kälte hätten uns beinahe wieder unter die Bettdecken verschwinden lassen. Aber wir haben Hunger. Gestern war es zuspät gewesen, um etwas einzukaufen.

 „Ich hab noch BabyBell im Rucksack!“, zischt Magdalena neben mir, damit die im anderen Zimmer nichts mitbekommen. Es sind die zwei letzten. Ganz vorsichtig packen wir den Käse aus. - Niemand darf uns hören! Magda zieht auch noch eine Tüte Gummitiere hervor. Schnell stehe ich auf um noch die Kürbiskerne vom Flug aus der Tasche zu kramen. Da höre ich von gegenüber ein Rascheln... Fabi und Swantje fressen also auch.

„Esst ihr da drüben etwa was!?“, ruft Magda rüber.

„Nein?“, schallt es zurück.

„Gut, wir haben hier nämlich auch gar keine Gummibärchen!“

„Wir haben hier auch gar keine Kekse!“

 

Mit leeren Rucksäcken und Beuteln ausgestattet, treten wir also vor die Tür. Der Wachmann des Hochhauses öffnet uns das Gittertor und verabschiedet sich freundlich. Hier im Stadtteil San Isidro fühlt man sich auf jeden Fall sicher. Auf dem Weg zu einer Bank treffen wir Unmengen an Wachmännern und drei Meter hohe Gitterzäune. Wenig Menschen sind auf der Straße. Alle warm angezogen... schließlich ist hier gerade Winter. Palmen, Bambussträucher, Kakteen und Starbucks begegnen uns. Autos jeden Alters und Verschrottungsgrades knattern vorbei.

 

Die Kabel... Ich liebe die Stromkabel hier! Nach dem Motto: Was muss, das muss! Es steht ein Pfeiler da und aus jeder Richtung treffen sich dort an die dreißig Kabel. - Verschlingen sich und wechseln im neunzig Grad Winkel die Richtung. Eichhörnchen klettern darüber. Jeder deutsche Elektriker hätte schon längst einen Herzinfarkt bekommen.

 

Vogelgezwitscher dröhnt genauso redundant, wie jede Hupe hier in der Stadt. Endlich erreichen wir den Supermarkt. Das allererste, was uns entgegen springt, sind die deutschen Rührkuchen... und die 5-Kilo Reissäcke. An jedem Regal gibt es einen Vertreter einer Marke oder eine Frau mit Mundschutz und Haarnetz, die dir Proben anbietet. Wir schleichen an den Fertigprodukten vorbei und arbeiten uns durch das Gemüseangebot. Möhren so breit wie mein Handgelenk, schwarzer Mais und rot-gelbe Minikartoffeln (Ollucos, wie wir später herausfinden.)... jeder zückt sein Handy, um die Farbenpracht festzuhalten. Sogar ein Beratungsgespräch über Toilettenpapier hatten wir. Fünf Frauen, eine Woche Aufenthalt... die Entscheidung war nicht einfach.

 

Zwischen erdfarbenen Häusern und kobaltblauen Anstrichen schleppen wir unsere Beute wieder in die Unterkunft. Endlich lässt sich auch mal die Sonne blicken.

 

Nach einer gemeinsamen Brotzeit und einer Mittagsruhe wollen wir an den Pazifik. Bepackt mit Kameras und Wasserflaschen machen wir uns also auf. Wir rechnen kurz durch, ob wir vor Sonnenuntergang zurück sind... ihr wisst schon... wie bei Aschenputtel: „Gib acht Kind, um Mitternacht, der Zauber verschwind´.“ Die Straßen sind überfüllt, laut und umgeben von einem grauen Abgasschleier. Wer überholt, hupt - wer aus der Parklücke fährt, hupt – wer anhält, hupt – manche Verhaltensmuster sind mir derweil noch unklar... aber eins ist sicher: Alle hupen. Ein Klangspektakel sondergleichen. Als Fußgänger heißt es an unbeampelten Übergängen: Drauf zulaufen... die halten schon an. Für meine pedantische Seite ist das ganz schön schwierig. An den Ampeln gibt es eine Sekundenanzeige bis zur nächsten Schaltung. Ich muss mich zwingen, nicht jedes Mal „Und DREI, ZWEI, EINS!“ zu rufen.

 

Unser Weg führt uns durch einen Olivenbaumpark aus dem siebzehnten Jahrhundert. Es ist Samstag und die Menschen tummeln sich auf dem Gras oder spielen mit ihren Kindern. Auf der anderen Seite eines kleinen Teichs wird geheiratet. Ich laufe immer dreihundert Meter hinter der Gruppe, weil ich so viel aufnehmen möchte. Positionieren, scharf stellen und dann so tun, als würde man etwas hinter der gefilmten Person fokussieren... das braucht echt Zeit.

 

Der Himmel wird schon langsam dunkler, als wir den Pazifik erreichen. Es trennt uns eine sehr hohe, teils begrünte Klippe vom Wasser. Die tosenden Wellen sind schon von weit weg zu erkennen und zu hören. Der Panoramaausblick ist eine Selfiestudie wert: Alle zwei Meter hält jemand seinen Handy (ob mit Stock oder langem Arm) in die Höhe. Familien, Pärchen und ein Mann, der unser aller Aufmerksamkeit erregt: Ein kleiner, verhutzelter Mann. Mit drahtigem Lockenhaar, großer Sonnenbrille und dunklem Teint befestigt ein biegbares Stativ an Bäumen, Mülleimern und Sitzbänken, um sich dann vor den Ozean zu stellen und via Selbstauslöser zu fotografieren. - Mit der verdeckten Sonne und dem Blick aufs unendliche Meer, welches sich im nirgendwo mit dem Himmel verbindet, hat dieser Ort schon etwas melancholisches.

 

Der dunkle Rückweg verläuft ereignislos... selbst durch den Parque El Olivar. den Olivenbaumpark rannten immer noch Kinder – halb sieben... unter smogerhelltem Nachthimmel... bewacht durch Laternen und Wachtpersonal mit blau blinkenden Lichtern am Revers.

 

Die Nachtwache öffnet uns das Tor und beim Eintreten ins Treppenhaus heißt uns laute Musik willkommen. Ich nehme die Treppe, weil ich wissen will, was da los ist. Im vierten Stock steht ein Sofa auf dem Treppenabsatz. Vier Kinder tummeln sich da. Durch die geöffnete Wohnungstür erkenne ich eine tanzende Frau im Katzenkostüm. Scheint ein Kindergeburtstag zu sein. Die Musik schallt bis zu uns hinauf in die Wohnung. Aber ob Kinderparty oder Hupkonzert... es spielt eh keine Rolle...

 

Der erste Tag ist geschafft. Völlig unspektakulär mit leichtem Jetlag hieß uns Lima willkommen.

 

So richtig glaube ich es immer noch nicht, dass wir tatsächlich hier sind. Nach einem Jahr Vorbereitung und vielen Hürden fühlt sich das alle so unwirklich an.

Mal sehen was uns in den nächsten Tagen bevorsteht.

 

Herzlichst

Luise