27.08. - Besorgte Polizisten...

Luise

Der zweite Morgen gestaltet sich genauso entspannt wie der vorherige. Wir alle haben immer mehr das Gefühl angekommen zu sein. Social-Media kostet uns schon vor dem Aufstehen viel Zeit. Zwischendurch besteht die Hoffnung, dass der Verkehrslärm an einem Sonntag abnimmt. Sechs Uhr früh wissen wir, dass Wochentage keine Rolle spielen.

Den Sonntag wollen wir dem Altstadtkern Limas, dem Lima Centro, widmen. Wir laufen also los, überqueren große Straßen und erfreuen uns an jedem Hausschnörkel und jeder alten Oma. Die Peruaner sind nicht weniger belustigt über uns: Mit Rucksäcken und Plastikjacken laufen wir herum. Ich in Sportklamotte, meinen Gürteltaschen, der Kamera mit flauschigem Mikro und nicht zu vergessen meiner Schirmmütze, sehe laut Magda wie ein richtiger Filmer aus... Ein bisschen merkwürdig ist es schon. Wir scheinen die einzigen Touristen hier zu sein. Wir laufen also so den Bürgersteig entlang, als plötzlich ein Polizeiauto neben uns hält. Der Polizist steigt aus und erklärt mir etwas in schnellem Spanisch. Er schaut freundlich, was mich etwas beruhigt. Schnell übernimmt Magda das Gespräch. Ich nicke immer, wenn der Polizist mich an sieht. Zwischendurch hält er sich die Finger wie eine Pistole an den Kopf. Zum Glück versteht Magda. - Ich kann nichts tun, außer ihm ein verunsichertes Lächeln zu schenken. Dann steigt der Polizist wieder ein. Magda übersetzt: Wir sollten am besten die Kameras wegpacken. Die Calle Enrique Villar liegt in einem gefährlichen Viertel. Schnell bekommt man die Pistole auf die Brust gesetzt. Und jetzt haben die Polizisten noch Mittagspause. Alles bliebe für die nächsten zwei Stunden unbewacht. Wir sollen bis zum Ende der Straße vorsichtig sein. Gerade Sonntags wird viel geklaut. Unglaublich nett, denke ich mir. Ein bisschen eingeschüchtert geht es weiter. Keine fünfhundert Meter weiter streckt uns ein alter Mann den rechten Arm zum Hitlergruß entgegen, nachdem er uns hat sprechen hören.

Vor dem parque de la exposición erliegt Magda der Versuchung und kauft Churros, einem frittierten Gebäck mit aromatisch süßer Füllung. Langsam kommen wir in touristischere Gefilde. Der Park ist voll mit vielen kleinen Kindern und vor der Kamera posierenden Jugendlichen.

 

Die Einkaufsmeilen im Zentrum bestehen aus winzigen Läden mit allem Möglichen zum Verkauf. Menschliche Statuen wo man auch hinsieht. Herrscher der Unterwelt, Mienenarbeiter, Sklaven, Soldaten und ein schwarz bemalter Elvis... alles relativ düster.

Auf dem Hinweg haben wir mit Heda darüber gesprochen, ob sie nicht auch Straßentheater machen wolle. „Hab nix mehr in Rucksack gekriegt.“, meint sie bloß. Aber Lima meint es gut mit ihr, denn auf einer der überfüllten Gassen steht ein kleiner, hutzeliger Mann und schwenkt seine Arme – vollbehangen mit roten Clownsnasen.

Am Placa de Armas erreichen die Menschenströme ihren derzeitigen Höhepunkt. Neben dem Palacio de Gobierno, dem Regierungspalast und der ersten Kirche Limas, der La Catedral de Lima aus dem 16. Jahrhundert tummeln sich Touristen und Snackverkäufer. Inzwischen sind wir seit einiger Zeit unterwegs. Uns plagt mal wieder der Hunger. In jedem Reiseführer steht, man solle nicht in ominöse Straßenrestaurants gehen und keine tierischen Produkte zu sich nehmen. Wir setzen uns also in ein Lokal am Straßenrand und bestellen Pollo und Tortillas... Nur das klebrige Besteck müssen wir mit Desinfektionsmittel abwischen. (Spoiler: Magenverstimmungen blieben aus... aber ich komme bestimmt noch zu meiner Durchfallszene im Dokumentarfilm... keine Sorge ;) )

 

Ich bleibe immer wieder stehen, um Hausecken, Taxis und Menschen zu filmen. Sehr zur Sorge Hedas. Aber ich habe damit kein Problem. Selbst in vierhundert Meter Entfernung muss ich einfach nach Fabis und Hedas Köpfen Ausschau halten, welche alle immer noch um Längen überragen. Genauso werden die zwei aber auch angestarrt. Eine große Frau scheint als eine Art Ausnahme verkraftbar. Bei zwei Amazonen klappen so manche Kinnladen runter. Jedenfalls biege ich im Barrio Chino (sprich China Town) für zwanzig Sekunden einen Schritt in eine andere Straße ab, um das Treiben da aufzunehmen. Als ich den Schritt wieder zurückgehe und wieder ins Blickfeld der Herde rücke, sehe ich eine entsetzte Heda. Kaum bin ich wieder bei ihnen, bekomme ich erstmal eins mit der Plastiktüte auf den Hintern. - Wir müssen zusammenbleiben. - Und sie hat ja recht. :)

Gerade auf engen Wegen trage ich die Kamera vor mir her, das Stativ auf meine Hüfttasche gestützt sieht es aus, als filme ich die ganze Zeit, was ich nicht tue. Die entgegenkommenden Leute lächeln, grinsen und winken. Das macht einen selbst auch irgendwie fröhlich. Was mich aber und andere sehr beunruhigt, sind die vielen weinenden Frauen, die man immer umringt von anderen Frauen antrifft. Aus Hedas letztem Beitrag wissen wir schon, dass die Frauen es hier sehr schwer haben und ich bin gespannt, wie es sich in kleineren Städten verhält. Lima ist schließlich schon sehr westlich angehaucht.

 

Die Taxifahrt gestaltet sich wiederum als sehr amüsant. Von der Fahrt vom Flughafen zur Unterkunft wissen wir schon, dass Sitzplätze nichts mit der Anzahl der zu transportierenden Personen zu tun hat. Heda sitzt vorn. Fabi rutscht durch, Magda nimmt auf Fabis Schoß platz, dann rücken Swantje und ich nach. Die rasante Fahrt beginnt, hupend und viel zu schnell fahren wir los. Der Fahrer plappert und gestikuliert. So richtig versteht ihn niemand. Irgendwann fällt aber der Groschen: Wir sollen ihm den Weg ansagen. Gepresst wie in der Sardinenbüchse beugt sich Magda mit dem Handy nach vorn. Ihr Kopf ragt schon beinahe parallel zu dem des Taxifahrers.

„Da vorn rechts... oder … ja da vorn... ach nee... hä?... da geht keine Straße nach rechts... Jetzt berechnet der neu... ok... jetzt hier rechts... ja, in vierhundert Meter... jetzt in zehn... jetzt hier... huch! War das jetzt richtig?“

Ich selber kann nicht viel tun. Ich klemme zwischen Swantje und der Autotür und betrachte die gelbe Plüschente auf dem Amaturenbrett. Das ist das schöne an Südamerika... man beginnt viele Dinge viel entspannter zu sehen...

 

Morgen geht’s zur Textilkünstlerin Ana Teresa Barboza.

Seit gespannt. Wir sind es auch. :)

 

Herzlichst

 

Luise