15.09. - Eine Geschichte vom Scheitern... Teil I

Luise

Unser letzter Tag in Cusco beginnt schon halb vier Uhr morgens.

 

„Wer hat eigentlich die scheiß Idee mit dem Rainbowmountain gehabt...“, höre ich es aus dem Schlafsack links von mir grummeln. Magda drückt den Wecker wieder aus und dreht sich wieder um.

 

Die Dusche im oberen Stock ist wie gewohnt kalt, aber angenehmer als die von Fabi und Swantje. Dort gibt das nachträglich eingebaute Erhitzungsgerät im Duschkopf immer wieder kleine Stromschläge ab.

 

 

 

Wieder ist es ein kleiner weißer Bus, der uns abholt, nur diesmal reichen die Plätze gerade noch für uns fünf. Die Stimmung ist gedrückt und müde. Wir fahren... und fahren. Es war schon merkwürdig, wir hätten auch auf dem Weg zur nächsten Choloeraimpfstelle sein können, wir hätten es nicht gewusst. Vielleicht stand der eigentliche weiße Kleinbus noch vor unserer Unterkunft? Wir verlassen Cusco . Der Fahrer antwortet auch nicht auf unsere Fragen. Holpernd folgen wir einem Flusslauf und finden uns auf weiten Ebenen wieder. An einem einsamen Haus an der staubigen Straße halten wir an. Zum Glück stehen hier noch andere weiße Kleinbusse. Wir fragen den Fahrer was jetzt passiert. Er sagt wieder nichts. In meinem Kopf spielen sich schon diverse Szenen ab. Die gruseligsten Horrorfilme finden eh tagsüber statt. Gleich betätigt er die Zentralverriegelung, setzt sich eine Gasmaske auf lässt K.O.-Gas in das Gefährt. Ich schaue mich im Wagen um. Das Fenster kann ich nicht öffnen, aber im Zigarettenfach finde ich einen angekauten Maiskolben. Das wars. Das ist das Ende, denke ich und das wird nicht das letzte mal an diesem Tag gewesen sein, dass mich dieser Gedanke plagen wird. Kinder kommen uns auf der Straße entgegen gelaufen. Ein älterer Mann baut vor dem Haus einen Klapptisch mit Souveniers auf. Ok, wenn wir nicht mit Alpakastrickmützen zu Tode gequält werden sollten, dann sind wir wirklich auf einem Touristen Trip. Ein Mann erscheint an der Schiebetür: Sonnenbrille, Basecap und Fokuhila. Er öffnet den Wagen und stellt sich als unser Guide vor. Bald gäbe es Frühstück , wir können uns erst eimal die Beine vertreten. Für das Frühstück werden wir dann nach einer gefühlten Ewigkeit in das Haus geführt.Im Gänsemarsch stapfen fünfzig bis sechzig Menschen durch den Eingang in den Innenhof und in einem niedrigen, lehmverputzten Anbau. Wie im Schullandheim stehen dort lange Tische, an denen die Wandersippe Platz nimmt. Die Wortkargheit nimmt mit dem ersten Kaffee ab. Menschen aller Herrenländer sind hier vertreten, die Meisten aus Europa. Geeint in ihren farbenfrohen Regenjacken und dem Wunsch, die 5000 Metermarke zu knacken. Das karge Mahl hinuntergeschlungen, steigen wir wieder in die Busse. Je weiter wir fahren, desto höher erheben sich die Berge links und rechts. Mir klappt immer wieder der Mund auf und die Kamera schlägt gegen die Fensterscheibe. Das Gestein trägt einen dunkellilanen Puderton. Gräser und Sträucher klammern sich in einem grüngelb an das Geröll. Es ist neblig. Es fühlt sich nicht nach der Welt an auf der ich bisher gelebt habe, abgesehen von dem angekauten Maiskolben im Zigarettenfach, den ich bei jeder Kurve unheilvoll in seinem Versteck klappern höre. Wir steigen auf einem Parkplatz aus und es ist vorbei mit der Idylle. Tausend Busse, eine Million Menschen... und es ist scheiße kalt. „Guide“, seinen Namen habe ich aus irgendeinem Grund nicht aufgeschrieben, reicht uns neonfarbene Westen. Damit wir wissen, zu welcher Gruppe wir gehören. Mit spitzen Fingern nehme ich das Stück Stoff entgegen. Es ist der Hass, sofort habe ich Schulsport Assoziationen. Ich knote es an meinen Rucksack. Wir, mit dem roten Schwitztuch, sind die Gruppe „Pachamama“. „Guide“ hält noch eine motivierende Rede. Dann geht es los und wir reihen uns auf dem schmalen Pfad dieser beeindruckenden Tundra ein. Ich möchte das gern festhalten und installiere die Kamera an meinem Körper und dem Regenponcho. Es ist wirklich scheiße kalt. Schnell fällt buntesgold von der Gruppe ab, denn wir wollen Fotos machen. Bis zum Ticketschalter ist es noch ein ganzes Stück. Andere Gruppen überholen uns. Der Weg ist gesäumt von freilaufenden Alpakas. Manche Touristen reiten auf Pferden an uns vorbei. Dekadent, denke ich mir, wie sie da hoch zu Ross sitzen und von einheimischen in Bunten Ponchos und Sandalen geführt werden. Insgeheim find ich das natürlich cool, aber mein Ehrgeiz, aus eigener Kraft da hoch zu laufen, überwiegt noch. Wir können da nicht einfach weiter gehen! Und wir müssen alle auf Toilette. In dem Häuschen gab es zwar ein stilles Örtchen, aber bei der Menge an Leuten, war es praktisch dauerbesetzt. Vor dem Einlass steht etwas fernab ein kleiner Bretterverschlag. Die letzte Notdurft erweist sich als sportliche Herausforderung. Ein von fauligen Brettern verstärktes Loch im Boden stellt mich vor ein Rätsel. Ich habe und das gebe ich zu, noch nie im Stehen pinkeln müssen. Dazu kommt, dass die Tür nicht von alleine zuhält. Fabi drückt von außen gegen die vernagelten Bretter. Für Männer ist das natürlich alles kein Problem. Hose auf und los geht’s. Aber bedingt der Schwerkraft finde ich einfach keine Position, ohne nach hinten ab zu fallen. Die Senke ich auch nicht klein, würde ich also das Gleichgewicht verlieren... Stressbedingt, zwinge ich mich zu einer resuluten Entscheidung. Ich muss meine Hose loswerden. Und das ist der Größte Vertrauensbeweis, den ich einem Menschen machen kann. Es sind ungefähr zwanzig Neurosen, die ich in diesem Moment besiege, als ich mich, mit nur einem Schuh und mit nur einem Hosenbein angezogen. (Zur Erinnerung: Es ist scheiße Kalt.) über einer urinig duftenden Fäkaliensenke erleichtere und ich den Mädels da draußen vertraue, dass egal, was passiert... jetzt niemand diese Tür öffnet. Ich bin unheimlich stolz auf mich, als ich aus dem Plumpsklo komme.

 

Unsere Gruppe ist schon durch den Ticketschalter.

 

Ich bin erleichtert, schlimmer kann es jetzt nicht mehr werden... wie falsch ich doch lag..

 

 

 

Fortsetzung folgt.

 

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