15.09. - Eine Geschichte vom Scheitern... Teil II

Luise

 

Ihr erinnert euch, wie wir durch den Dschungel geschwebt sind und jedes Blatt und jeden Käfer dokumentiert haben? Ihr erinnert euch, wie wir zwei Stunden zum Supermarkt gebraucht haben, weil wir alles fotografieren mussten? Ihr wisst, dass ich durch meine filmische Arbeit immer mindestens hundert Meter hinter den anderen Mädels hinterher hänge? Das wird uns heute zum Verhängnis. Am Anfang sind wir noch motiviert, unser eigenes Tempo zu halten, auch wenn wir von gefühlt Millionen Menschen überholt werden. Unser Guide und die Betreuer der anderen Truppen weisen uns mit freundlicher Stimme darauf hin, nicht zurückzufallen und bei der Gruppe zu bleiben. Jeder kennt diesen Tonfall, als würde man mit einem einfältigen Kind reden. Mein linkes Auge fängt schon wieder an zu zucken. Mit dem Anstieg beginnt auch der Hagel. Die beeindruckende Landschaft festzuhalten ist unter diesen Witterungsbedingungen kaum möglich. Ich verbringe allein fünf Minuten damit, meine Kamera und das Stativ so an mir zu befestigen, dass nur das Objektiv durch meinen Regenponcho schaut. Aber nach wenigen Minuten sind meine Hände durch den windigen Zug so eingefroren, dass das Touchpad der Kamera meine Finger nicht mehr erkennt. Darauf waren wir nicht vorbereitet. Klar wird es in den Bergen kalt, aber auf der Packliste stand nichts von Winterklamotte! Das Atmen fällt mir immer schwerer, aber ich geh mit schnellen Schritt auf Heda zu, die ich durch ihren orangenen Ikearegenüberwurf auf noch durch die dreihundert Meter dicke Nebelwand erkennen kann. So leuchtend ihre Gewandung ist, so aschfahl und geistesabwesend trottet sie voran, als ich sie erreiche. Ich bin leicht erschrocken, eine unmotivierte Heda ist kein gutes Zeichen. Aber für viel Einfühlungsvermögen fehlt mir der Sauerstoff im Gehirn. Stattdessen beginne ich sie mit Worten zuzuschwallen.

 

„Guck mal da, ein zweifarbiges Lama, Heda, siehst du´s?... Schau mal die Farben… kacke, dass es regnet… Guckmal, die haben nix an außer Jesuslatschen… Was die hier hoch hetzen… die können die schöne Natur gar nicht genießen… Oh guck mal Heda, da ist das Lama mit der Hose!“ Wäre ich Heda, ich hätte mir schon längst paar geklatscht. Später erzählt sie, dass sie sich an nichts mehr erinnern kann und erst im Bus wieder zu sich kam, als uns die Aufpasserin ein stinkendes Duftöl unter die Nase halten will.

 

 

Der Weg ist schlammig und steinig, man hat uns mit Wanderstöcken ausgerüstet, die uns vor schweren Stürzen retten sollen, aber für mich ist jedes Gramm, dass ich mit mir trage, nur Ballast. Der Hagel zerkratzt mein Gesicht und lässt meine Brille beschlagen, aber all meine Aufmerksamkeit gilt Heda, die langsam apathisch wirkt. Klar, ihr Herz muss gefühlt einen halben Meter mehr an Körper mit Blut versorgen und bei über einem Meter Achtzig ist der Windwiderstand natürlich auch größer… Ich hab ein bisschen Angst. Der Guide kommt zu uns gelaufen. Wie alle Aufpasser trägt er einen gelben Müllsack über der Jacke. Mit seinem markanten Kinn und den kindlichen Gesichtszügen wirkt er wie eine Pixaranimationsfigur. In väterlichen Ton legt er uns nahe ein Pferd zu nehmen. Heda sagt nichts, sie reagiert nicht mal, sondern läuft einfach weiter. Ich wimmel den Typen ab. Zumindest steht inzwischen auch den Menschen um uns herum die Anstrengung ins Gesicht geschrieben. Die Ersten heulen sogar und werden mit Atemübungen von den anderen Guides beruhigt. Das motiviert mich umso mehr noch durchzuhalten, dann schaue ich Heda an… wir brauchen doch ein Pferd. Aber jedes, dass uns entgegen kommt, ist besetzt. Langsam bin ich verzweifelt. In sanftmütigem Ton, für den ich mich selbst verprügeln würde, erkläre ich Heda, dass sie hier warten solle und ich organisiere ihr ein Pferd. Ich laufe den Berg wieder dreihundert Meter hinab. Böser Fehler! Ganz Böser Fehler! Wenn du auf viertausend Meter Höhe bist und in der nächsten Stunde irgendwie die fünftausend noch erreichen musst, dann lauf nicht zurück! Aber in dem Moment war mir das auch egal, Heda braucht ein Pferd. Endlich sehe ein freies Pferd, die Halterin sitzt auf einen Felsvorsprung und schaut mich mit großen Augen an.

 

Hola, I need a horse for my amiga!” Sie versteht mich nicht. Ich deute nach oben, auf den orangenen Fleck in der Landschaft. Inzwischen hat sich auch Mister Gelbersack zu Heda gesellt. Die Frau nickt, bleibt aber sitzen. Mit wilden Gestikulationen versuche ich ihr klar zu machen, dass sie mir folgen soll. Durch meinen Ausdrucktanz aufmerksam geworden, kommt ein älteres Ehepaar zu mir gestolpert und übersetzen mein atemloses Englisch ins Spanische, auch dass bedarf der Unterstützung von Händen und Füßen, da sie anscheinend nur Quechua spricht. Dann endlich erhebt sich die Frau und ich führe sie zu Heda, die paar hundert Meter kommen mir vor wie zwei Kilometer. Endlich erreichen wir die beiden. Das Fokuhila-Babyface erklärt mir noch, wo wir absteigen müssen, dann entschwindet er zum Glück wieder. Ich helfe Heda auf das Pferd. Zur Erklärung die Situation war todernst, am liebsten hätte ich sie nicht Richtung Gipfel sondern Richtung Tal geschickt und ich selber war auch nicht unbedingt bei bester Laune, dem Sauerstoffmangel und Badhairday-Joe geschuldet. Aber der Anblick eines peruanischen Pferdes (wir sprechen hier von einer Schulterhöhe von vielleicht 1,40m) und der daraufsitzenden Urwaldamazone (wir sprechen hier von einer Schulterhöhe von vielleicht 1,60m) verhüllt in diesem orangenen Regenüberwurf gleicht einer surrealen Neuinterpretation der heiligen Maria auf dem Weg nach Bethlehem. Nur ihr aschfahler Gesichtsausdruck passt nicht ins Bild. – So wirkt sich anscheinend Saustoffmangel auf mein Gehirn aus.

 

Ich beschwichtige Heda noch etwas. Sie reitet los. Ich suche meinen Wanderstab, den ich in der Aufregung WEITER UNTEN vergessen habe und dann… bin ich allein. Alle meine Freunde sind weg… das hab ich nicht bedacht.

 

Und jetzt?... Fortsetzung folgt...

 

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